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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 02.09.2008
Aktenzeichen: 1 Ws 215/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2
Stellt das Rechtsmittelgericht das Verfahren durch Beschluss außerhalb der Hauptverhandlung wegen eines Verfahrenshindernisses ein, so kann es sich zur Begründung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO - Prognose über den voraussichtlichen Verfahrensausgang - auch auf einen "erheblichen Tatverdacht" stützen, der auf einem vorinstanzlich ergangenen, bislang noch nicht rechtskräftigen Schuldspruch beruht.

Dabei ist lediglich erforderlich, dass der Fortbestand des Schuldspruchs nicht durch bisher nicht bekannte Umstände gefährdet ist.


Oberlandesgericht Stuttgart

- 1. Strafsenat -

Beschluss

Geschäftsnummer: 1 Ws 215/08

51 Js 24526/05 StA Heilbronn

vom 02. September 2008

in der Strafsache gegen

wegen Betrugs;

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Heilbronn vom 01. Juli 2008 wird als unbegründet

verworfen.

Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.

Gründe:

I.

Unter dem Datum des 19. Oktober 2005 hat die Staatsanwaltschaft Heilbronn beim Amtsgericht Besigheim gegen die Beschwerdeführerin Anklage wegen gewerbsmäßig begangenen Betrugs erhoben. In der Anklageschrift wurde ihr zur Last gelegt, am 10. März 2005 unter Vorspiegelung ihrer uneingeschränkten Zahlungsfähigkeit und -willigkeit einen Übersetzungsdienstleister mit Übersetzungen beauftragt zu haben, welche dieser im Vertrauen hierauf erledigt und ihr am 19. April 2005 über einen Betrag von 1.122,09 € in Rechnung gestellt habe. Vorgefaßter Absicht gemäß habe sie die Rechnung in der Folgezeit nicht bezahlt, sondern ihrerseits die Übersetzungen einem Kunden zur Verfügung gestellt und diesem lediglich in Höhe eines Betrags von 614,17 € berechnet. Von dieser Vorgehensweise habe sie sich eine fortlaufende Erwerbsquelle zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts versprochen.

Einen weiteren, gleichgelagerten Tatvorwurf brachte die Staatsanwaltschaft Heilbronn unter dem Datum des 11. November 2005 beim Amtsgericht Besigheim zur Anklage. Hierbei ging es um Übersetzungsdienstleistungen, die der Angeklagten in Höhe eines Betrags von 326,02 € in Rechnung gestellt, von ihr allerdings noch nicht anderweitig verwertet worden waren.

Mit Beschlüssen vom 6. Dezember 2005 wurde jeweils unter Zulassung der Anklageschrift das Hauptverfahren eröffnet und die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Aufgrund der in der Hauptverhandlung vom 16. Januar 2006 durchgeführten Beweisaufnahme wurde die Angeklagte wegen der ihr zur Last gelegten Vergehen des gewerbsmäßig begangenen Betrugs zu der Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Aus den Urteilsgründen geht hervor, dass das Gericht die Einlassung der Angeklagten, die zwar die objektiven Tatumstände eingeräumt, jedoch einen Betrugsvorsatz in Abrede gestellt hatte, aufgrund der glaubhaft erscheinenden Zeugenaussagen für widerlegt erachtet hatte.

Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte durch ihren zwischenzeitlich gewählten Verteidiger fristgerecht Berufung eingelegt. Eine Rechtfertigungsschrift ging nicht ein. Mit der Vorlage der Akten an das Berufungsgericht am 26. April 2006 teilte die Staatsanwaltschaft Heilbronn mit, dass sie inzwischen unter dem Datum des 24. März bzw. 04. April 2006 weitere Anklagen wegen gleichgelagerter Tatvorwürfe zum Amtsgericht Besigheim erhoben habe. Nachdem eine an den Verteidiger gerichtete Anfrage nach dem Berufungsziel unbeantwortet geblieben war, hat der Vorsitzende der Strafkammer schließlich Termin zur Hauptverhandlung auf den 14. Dezember 2006 anberaumt. Mit Schreiben vom 27. November 2006 wandte er sich erneut an den Verteidiger mit der Bitte um Prüfung, ob die Berufung nicht wenigstens auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt werden könne, so dass Zeugen wieder abgeladen werden könnten. Er wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nach seiner vorläufigen Bewertung der Sache nach Aktenlage das Amtsgericht in seinem Urteil das Verteidigungsvorbringen der Angeklagten überzeugend widerlegt habe. Mit Schriftsatz vom 29. November 2006 teilte der Verteidiger mit, er werde die Anregung des Gerichts kurzfristig mit seiner Mandantin abstimmen. Ferner übermittelte er einen Bericht des Krankenhauses vom 13. Oktober 2006 über eine stationäre Behandlung der Angeklagten im Zeitraum vom 11. bis zum 20. Oktober 2006 sowie ein ärztliches Attest vom 08. Juni 2006 eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie. Daraus ergäben sich - so der Verteidiger - u. a. auch Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten. Gesundheitliche Beschwerden hatte die Angeklagte bis zu diesem Zeitpunkt in dem gegen sie geführten Strafverfahren nicht vorgebracht.

Nachdem im Parallelverfahren das Amtsgericht Besigheim eine amtsärztliche Untersuchung zur Klärung der Verhandlungsfähigkeit angeordnet hatte, die schließlich am 13. Dezember 2006 stattfinden sollten, hat die Strafkammer den Hauptverhandlungstermin vom 14. Dezember 2006 auf den 30. Januar 2007 verlegt. In ihrem amtsärztlichen Zeugnis vom 14. Dezember 2006 gelangt die Ärztin aufgrund ihrer internistischen Untersuchung der Angeklagten zu der Diagnose eines schweren Herzmuskelschadens. Dieser sei der Angeklagten bis Oktober 2006 nicht bekannt gewesen und beeinträchtige sie stark in ihrer Leistungsfähigkeit. Sie sei jetzt und bis auf weiteres nicht verhandlungsfähig. Mit Beschluss vom 08. Januar 2007 hat die Strafkammer daher das Verfahren wegen derzeitiger Verhandlungsunfähigkeit nach § 205 StPO vorläufig eingestellt und den Hauptverhandlungstermin vom 30. Januar 2007 aufgehoben.

Das Gericht hat in der Folgezeit überprüft, ob die Verhandlungsunfähigkeit der Angeklagten fortbesteht, was der Fall war. Die Angeklagte hatte drei aussagekräftige privatärztliche Atteste, datierend vom 15. Mai 2007, 22. Oktober 2007 und 22. Januar 2008, vorgelegt, die bei jeweils fortbestehender ärztlicher Diagnose nunmehr zum Ausdruck brachten, dass mittlerweile eine krankheitsbedingte Bettlägerigkeit eingetreten sei.

Das Landgericht ist daher von einer dauerhaften Verhandlungsunfähigkeit ausgegangen. Mit Beschluss vom 25. Juni 2008 hat die Strafkammer das Verfahren nach § 206 a StPO endgültig eingestellt. Im Rahmen der Kostenentscheidung hat sie zwar die Kosten des gesamten Strafverfahrens nach § 467 Abs. 1 StPO der Staatskasse auferlegt, jedoch gemäß § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO hiervon in Bezug auf die notwendigen Auslagen der Angeklagten abgesehen. Zur Begründung wird ausgeführt, dass das Verfahrenshindernis der Verhandlungsunfähigkeit erst nach der Hauptverhandlung erster Instanz beim Amtsgericht Besigheim eingetreten sei. Da die Angeklagte bereits, wenn auch nicht rechtskräftig, verurteilt worden sei und sich aus den Akten keine Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit des angefochtenen Urteils ergäben, sei es im vorliegenden Strafverfahren keinesfalls angemessen, auch die notwendigen Auslagen der Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen.

Gegen die Kostenentscheidung hat die Angeklagte durch ihren Verteidiger rechtzeitig sofortige Beschwerde eingelegt und zur Begründung ausgeführt, § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO setze voraus, dass die Verurteilung allein wegen des Verfahrenshindernisses entfalle. Da die Schuldfrage aber noch im Berufungsverfahren zu klären gewesen sei, sei eine Übernahme der Kosten der Verteidigung durch die Staatskasse geboten.

II.

1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begegnet auch im Hinblick auf ihre Statthaftigkeit keinen durchgreifenden Bedenken. Nach § 206 a Abs. 2 StPO ist gegen den Einstellungsbeschluss nach § 206 a Abs. 1 StPO das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde eröffnet. § 464 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 StPO steht daher - auch bei fehlender Beschwer im Hinblick auf die Hauptentscheidung - einer isolierten Anfechtung der Nebenentscheidung zu den Kosten des Verfahrens und den notwendigen Auslagen des Angeklagten nicht entgegen (Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 464 Rn. 19 m. w. N.). Vor dem Hintergrund ihres eigentlichen Beschwerdeziels, eine Abänderung der Auslagenentscheidung zu erreichen, wäre es der Beschwerdeführerin überdies unbenommen gewesen, ihre Beschwerde noch weiter zu beschränken. Nach §§ 464 Abs. 1 und 2, 464 a Abs. 1 S. 1 StPO gehören die notwendigen Auslagen des Angeklagten nicht zu den Kosten des Verfahrens im eigentlichen Sinne und sind daher als selbständiger Bestandteil der nach § 464 StPO bei Verfahrensabschluss zu treffenden Kostenentscheidung anzusehen. Dies rechtfertigt es, eine Beschränkung auf diesen Teil der Kostenentscheidung als wirksam anzusehen (BGH NJW 1992, 1182). Im übrigen geht der Senat - trotz fehlender Angaben zum Beschwerdewert (§ 304 Abs. 3 StPO) - davon aus, dass die notwendigen Auslagen der Angeklagten den Betrag von 200 € übersteigen, nachdem sie im Berufungsverfahren für ihre Verteidigung einen Rechtsanwalt beauftragt hatte.

2. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.

Wenngleich mit knappen, aber im Ergebnis zutreffenden Erwägungen hat die Strafkammer der Angeklagten die ihr entstandenen notwendigen Auslagen auferlegt.

Das Landgericht hat das Strafverfahren wegen eines Verfahrenshindernisses - dauernde Verhandlungsunfähigkeit der Angeklagten - nach § 206 a Abs. 1 StPO endgültig eingestellt. Dies führt im Ergebnis dazu, dass sie wegen der ihr zur Last gelegten Taten nicht bestraft wird.

Im Rechtsmittelverfahren hält § 473 StPO für Fallgestaltungen dieser Art nur für einen Sonderfall eine Regelung bereit: Nach § 473 Abs. 2 S. 2 StPO hat die Staatskasse die notwendigen Auslagen des Angeklagten oder eines Nebenbeteiligten zu tragen, wenn das zugunsten dieser Verfahrensbeteiligten eingelegte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft erfolgreich war.

Führt hingegen das Rechtsmittel des Angeklagten zum Freispruch oder endet das Verfahren - wie im vorliegenden Fall - durch endgültige Einstellung, gilt § 467 StPO (Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 473 Rn. 2, KK-Franke, StPO, 5. Aufl., § 473 Rn. 5). Nach dessen Absatz 1 hat in diesen Fällen grundsätzlich die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten zu tragen. Von den in Absätzen 2 bis 5 geregelten Ausnahmetatbeständen kommt im vorliegenden Fall lediglich § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO in Betracht. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung kann das Gericht nach seinem Ermessen davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn dieser wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis vorliegt. Der Normanwender wird damit vor die Aufgabe gestellt, eine Prognose über den voraussichtlichen Verfahrensausgang abzugeben. Die Durchführung einer Beweisaufnahme, die allein der Klärung der für die Auslagenentscheidung maßgeblichen Fragen dienen soll, ist dem Gericht hierbei allerdings verwehrt (BVerfG NJW 1991, 829).

Eine gerichtliche Ermessensentscheidung kommt erst dann in Betracht, wenn das Verfahrenshindernis letztlich alleinige Ursache der Einstellung gewesen ist. Unter welchen Umständen hiervon ausgegangen werden kann, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Einigkeit besteht lediglich insoweit, dass die Ausnahmevorschrift dann nicht zur Anwendung gelangt, wenn - unabhängig vom Bestehen des Verfahrenshindernisses - die Verurteilung wegen anderer Umstände, seien sie tatsächlicher oder rechtlicher Art, zweifelhaft gewesen wäre. In diesen Fällen hat es bei der Grundregel des Abs. 1 zu verbleiben.

In den übrigen Fällen muss sich die gefundene Lösung vor allen Dingen an der Unschuldsvermutung messen lassen. Sie stellt eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips dar und hat damit Verfassungsrang. Darüber hinaus ist sie zugleich kraft Art. 6 Abs. 2 MRK Bestandteil des positiven Rechts der Bundesrepublik Deutschland im Range eines Bundesgesetzes (BVerfG NJW 1966, 243; BVerfG NJW 1987, 2427; st. Rspr.).

Ihrem wesentlichen Inhalt nach verbietet sie, den Beschuldigten vor einem ordnungsgemäßen Schuldnachweis nicht nur im konkreten Verfahren als schuldig zu behandeln, sondern auch, ihm dies im Rechtsverkehr allgemein vorzuhalten.

Aus dem Prinzip, dass keine Strafe ohne Schuld verhängt werden darf, folgt die Aufgabe des Strafprozesses, den Strafanspruch des Staates in einem justizförmig geordneten Verfahren durchzusetzen, das eine wirksame Sicherung der Grundrechte des Beschuldigten gewährleistet (BVerfG NJW 1981, 1719; BVerfG NJW 1987, 2427). Dem Täter müssen deshalb Tat und Schuld nachgewiesen werden, bevor im Verfahren Entscheidungen getroffen werden können, die die Feststellung von Schuld erfordern (BVerfG NJW 1987, 2427). Sie schützt den Beschuldigten auch vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches prozeßordnungsgemäßes Verfahren zur Schuldfeststellung und Strafbemessung vorausgegangen ist (BVerfG NJW 1987, 2427).

Als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) enthält die Unschuldsvermutung keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- und Verbote; ihre Auswirkungen auf das Verfahrensrecht bedürfen vielmehr der Konkretisierung durch den Gesetzgeber je nach den sachlichen Gegebenheiten (BVerfG NJW 1987, 2427 m. w. N.). Im System des Strafverfahrens, wie die Strafprozessordnung es vorsieht, hat er dem Rechnung getragen. Kernstück des Strafprozesses ist dabei die Hauptverhandlung. In ihr soll der Sachverhalt endgültig aufgeklärt und festgestellt werden. Erst die durchgeführte Hauptverhandlung setzt den Richter in den Stand, sich eine Überzeugung zur Schuldfrage zu bilden. Sie schafft die prozessual vorgesehenen Voraussetzungen dafür, Feststellungen zur Schuld zu treffen und gegebenenfalls die Unschuldsvermutung zu widerlegen. Hierfür ist regelmäßig Voraussetzung, dass das Verfahren bis zum letzten Wort des Angeklagten gelangt ist, da bis dahin der Angeklagte noch die Möglichkeit hat, durch sein Vorbringen auf die Meinungsbildung des Gerichts einzuwirken und eine bereits früher gewonnene Meinung wieder zu erschüttern (LR-Gollwitzer, MRK, 25. Aufl., Art. 6 Rn. 140 m. w. N.).

Erfolgt die Einstellung des Verfahrens vor "Schuldspruchreife", so ist eine zugleich getroffene Entscheidung, die einen Auslagenersatz im Verhältnis zur Staatskasse ablehnt, als solche keine strafähnliche Sanktion und auch nicht notwendig der Ausdruck eines an strafrechtliche Schuld anknüpfenden sozialethischen Unwerturteils (BVerfG NStZ 1988, 84; BVerfG NJW 1990, 2741). Die Unschuldsvermutung ist jedoch dann verletzt, wenn in den Gründen eines Einstellungsbeschlusses oder der damit verbundenen Auslagenentscheidung strafrechtliche Schuld festgestellt oder zugewiesen wird, ohne dass diese zuvor prozessordnungsgemäß festgestellt wurde. Sie schließt es jedoch nicht aus, dass ein verbliebener Tatverdacht beschrieben und bewertet und dies bei den kostenrechtlichen Folgen berücksichtigt wird (BVerfG NJW 1990, 2742).

Vor diesem Hintergrund werden unterschiedliche Meinungen vertreten, welcher Grundlagen es bedarf, um die nach dem Gesetz geforderte Prognose über den voraussichtlichen Verfahrensausgang aufstellen zu können.

Nach einer strengen, in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansicht wird verlangt, dass das Gericht nach einer bis zur "Schuldspruchreife" geführten Hauptverhandlung zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Angeklagte bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses mit Sicherheit verurteilt worden wäre (BGH NStZ 1995, 406; OLG Rostock Beschluss vom 06. Februar 2004 - 1 Ws 350/03 - zitiert nach juris, OLG Celle NJW 2002, 3720; KG NJ 1999, 494; OLG Hamm, NStZ -RR 1997, 127 f.; KG NJW 1994, 600; OLG Zweibrücken NJW 1989, 134 (zum Strafbefehlsverfahren); BayObLG NJW 1970, 875 (876); LR-Hilger, StPO, 25. Aufl., § 467 Rn. 53; KK-Franke, StPO, 5. Aufl., § 467 Rn. 10a).

Demgegenüber kommt nach anderen Auffassungen eine Ermessensentscheidung zu Lasten des Angeklagten auch auf einer niedrigeren Stufe des Tatverdachts in Betracht. Die hieran zu stellenden Anforderungen werden jedoch unterschiedlich beurteilt. Während einerseits bereits ein nach dem letzten Verfahrensstand hinreichender Tatverdacht als ausreichend betrachtet wird (OLG Hamm, NStZ 2001, 126), ist nach einer anderer Ansicht erforderlich, dass nach weitgehend durchgeführter Hauptverhandlung bei Eintritt des Verfahrenshindernisses ein auf die bisherige Beweisaufnahme gestützter, erheblicher Tatverdacht besteht und keine Umstände erkennbar sind, die bei einer Fortführung der Hauptverhandlung eine Verdichtung des Tatverdachts zur ordnungsgemäßen Schuldfeststellung in Frage stellen würden (vgl. BGH NStZ 2000, 330 (331); OLG Hamm wistra 2006, 359; OLG Frankfurt NStZ-RR 2002, 246 f.; OLG Karlsruhe, JR 1981, 38 f.). Eine weitere Auffassung hält demgegenüber für erforderlich, dass ein ins Auge springender, mehr als hinreichender, massiver Tatverdacht vorliegt, bei dem die Verurteilung auf der Hand liege (Thüringisches OLG Beschluss vom 11. Januar 2007 - 1 Ws 195/05 - zitiert nach juris).

Die Unschuldsvermutung ist auch im Rechtsmittelverfahren zu beachten. Nach Anfechtung der instanzabschließenden Entscheidung gilt sie auch für die nächste Instanz und dauert verfahrensextern bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Verurteilung, wobei die Unanfechtbarkeit des Schuldspruchs maßgebend ist (vgl. LR-Gollwitzer, a. a. O., m w. N.).

Bei der Beantwortung der Frage, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung nach § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO vorliegen, soll es im Rechtsmittelverfahren auf die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels ankommen. Entscheidend sei hierbei, dass allein das Verfahrenshindernis den Angeklagten vor der Verurteilung bewahre, das Rechtsmittel also unbegründet gewesen oder der Angeklagte nach Zurückverweisung der Sache in einer erneuten Hauptverhandlung verurteilt worden wäre (BGHR § 467 Abs. 3 Verfahrenshindernis 2; KMR-Stöckel, StPO, § 467 Rn. 25 m. w. N; LR-Hilger, a. a. O. ; Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 467 Rn. 16 m. w. N.).

Bleibt der Schuldspruch der angefochtenen Entscheidung bestehen, weil Berufung oder Revision wirksam auf den Strafausspruch beschränkt worden sind, so ist bereits damit eine Ermessensentscheidung nach § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO eröffnet. In den übrigen Fällen ist zu berücksichtigen, dass nach wie vor die Unschuldsvermutung für den Angeklagten streitet. Vor Durchführung der neuen Hauptverhandlung bis zum letzten Wort des Angeklagten kann grundsätzlich auch nicht von "Schuldspruchreife" ausgegangen werden. Gleichwohl ist jedoch zu sehen, dass das Strafverfahren bereits aufgrund einer durchgeführten Hauptverhandlung - allerdings vor einem anderen Tatrichter - unter Wahrung der verfassungsmäßigen Rechte des Angeklagten in ein Stadium gelangt war, in welchem das Gericht zur vollen Überzeugung von dessen Schuld gelangt ist.

Diese Besonderheiten rechtfertigen es, auch dem noch nicht rechtskräftigen, vorinstanzlich ergangenen Schuldspruch eine entsprechende Bedeutung beizumessen. Der Umstand, dass der Angeklagte hiergegen ein Rechtsmittel eingelegt hat, gibt für sich genommen keine Veranlassung, diese bei einer kostenrechtlichen Prognosebeurteilung geringer einzuschätzen. Der durch den Schuldspruch der Vorinstanz begründete "erhebliche Tatverdacht" hat vielmehr derart Gewicht, dass er insoweit als Grundlage für die Prognose über den weiteren voraussichtlichen Verfahrensausgang ausreicht. Dabei ist lediglich erforderlich, dass sein Fortbestand nicht durch bisher nicht bekannte Umstände gefährdet ist, die außerhalb des Prüfungsumfangs der ergangenen Entscheidung liegen. Im Rechtsmittelverfahren ist dies etwa der Fall, wenn nachträglich - weitere - Prozeßvoraussetzungen entfallen würden, so zum Beispiel bei Rücknahme des Strafantrags bei einem Antragsdelikt. Darüber hinaus kommen im Berufungsverfahren insbesondere neue Tatsachen oder Beweismittel in Betracht, die geeignet erscheinen, die bislang gewonnene Überzeugungsbildung von der Schuld des Angeklagten zu erschüttern und eine prozessordnungsgemäße Feststellung der Tatschuld in Zweifel zu ziehen.

Eine derartige Ausnahmesituation kommt vorliegend jedoch nicht in Betracht.

Die unbeschränkt eingelegte Berufung ist nicht begründet worden. Auch nach Anfrage des Gerichts, ob die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt werde, hat die Angeklagte nichts zur Sache vorgetragen. Ihr Verteidiger hat insoweit lediglich mitgeteilt, dass er die Angelegenheit mit ihr noch kurzfristig besprechen werde. In der Folgezeit wurden verbindliche Erklärungen hierzu jedoch nicht mehr abgegeben. Die Angeklagte schilderte vielmehr - erstmals im Verlauf des Strafverfahrens - nähere Einzelheiten zu ihren Krankheiten, deren Beschwerdebild sich in der Folgezeit derart verschlechterte, dass die Kammer von einer dauernden Verhandlungsunfähigkeit ausging.

Das erstinstanzliche Urteil hat sich mit der Einlassung der Angeklagten auseinandergesetzt und seine aufgrund der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung gewonnene Überzeugung von der Schuld der Angeklagten nachvollziehbar begründet. Neue Gesichtspunkte, die die prozeßordnungsgemäße Feststellung der Tatschuld der Angeklagten in Frage stellen könnten, haben sich nicht ergeben. Vor diesem Hintergrund ist die Strafkammer zu Recht davon ausgegangen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung nach § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO vorlagen.

Die von der Strafkammer getroffene Ermessensentscheidung, der Angeklagten die ihr im Strafverfahren entstandenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen, erweist sich als fehlerfrei und ist von nachvollziehbaren Erwägungen getragen.

Nach der in § 467 Abs. 1 StPO getroffenen Regelung hat die Staatskasse bei Freispruch oder Einstellung nicht nur die Verfahrenskosten, sondern grundsätzlich auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen. Der Ausnahmecharakter der Regelung des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO bringt es mit sich, dass besondere Umstände vorliegen müssen, die die Belastung der Staatskasse mit den Auslagen des Angeklagten als unbillig erscheinen lassen (Meyer-Goßner, a. a. O. , Rn. 18; KK-Franke a. a. O. , Rn. 10 b; LR-Hilger a. a. O., Rn. 56 ff; jeweils m w. N.). Die voraussichtliche Verurteilung des Angeklagten kommt hierbei, da sie als tatbestandliche Voraussetzung erst eine Ermessensentscheidung eröffnet, ebenso wenig als maßgeblicher Gesichtspunkt in Betracht wie die dem Verfahren zugrunde liegenden Tat (KK-Franke, a. a. O. , m. w. N.).

Die zu treffende Ermessensentscheidung hängt in der Regel davon ab, ob das Verfahrenshindernis vor oder nach Klageerhebung entstanden ist oder bereits von vornherein klar erkennbar war, jedoch übersehen wurde, oder ob die Strafverfolgungsorgane nach gewissenhafter Prüfung mit gutem Grund das Fehlen eines Verfolgungshindernisses annehmen durften und dieses sich erst nach einer langwierigen Aufklärung später herausgestellt hat (vgl. obige Kommentarliteratur).

Soweit nach der Rechtsprechung eine Auferlegung der notwendigen Auslagen auf den Angeklagten bei dauernder Verhandlungsunfähigkeit nur dann in Betracht kommen soll, wenn der Angeklagte sie durch ein prozessual vorwerfbares Verhalten herbeigeführt hat (OLG Köln NJW 1991, 506), vermag der Senat diese Auffassung nicht zu teilen. Der Wortlaut der Bestimmung fordert dies nicht. Im Gegensatz zu den übrigen Ausnahmetatbeständen des § 467 Abs. 2 bzw. Abs. 3 S. 1 sowie Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StPO wird nämlich gerade nicht an ein vorwerfbares prozessuales Fehlverhalten des Angeklagten angeknüpft, sondern an die Prognose, dass der Angeklagte wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Damit rücken der Zeitpunkt der Entstehung des Verfahrenshindernisses und der seiner Erkennbarkeit für die Strafverfolgungsbehörden als maßgebliche Ermessenskriterien in den Vordergrund. Zu einer weitergehenden Einschränkung des Ermessens im Hinblick auf ein prozessual vorwerfbares Verhalten des Angeklagten besteht nach Auffassung des Senats kein Anlaß. Auch die Unschuldsvermutung steht dieser Betrachtungsweise nicht entgegen. Weder die Verfassung noch die Menschenrechtskonvention gebieten bei einer Einstellung des Verfahrens zwingend, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen (LR-Gollwitzer, a. a. O., Rn. 144 m. w. N.).

Zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen ist das Landgericht davon ausgegangen, dass im vorliegenden Fall Umstände vorliegen, die es als unangemessen erscheinen lassen, die Staatskasse mit den notwendigen Auslagen der Angeklagten zu belasten. Von der ernsthaften Erkrankung der Angeklagten, die später zur dauerhaften Verhandlungsunfähigkeit führte, hatten die Strafverfolgungsorgane bzw. Strafgerichte erst im Berufungsverfahren, knapp zwei Wochen vor dem Termin der Berufungshauptverhandlung, Kenntnis erlangt. Das Gericht hat die Hauptverhandlung zunächst verlegt und nach Eingang des amtsärztlichen Zeugnisses das Verfahren nach § 205 StPO vorläufig eingestellt. Nach weiteren Überprüfungen erfolgte schließlich die endgültige Verfahrenseinstellung.

Es erscheint daher nicht gerechtfertigt, dass die Staatskasse die Auslagen der Angeklagten bei Eintritt eines Verfahrenshindernisses tragen soll, das auf Umständen beruht, die allein in der Person der Angeklagten begründet sind und für die Strafjustiz nicht erkennbar waren.



Ende der Entscheidung

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